Montag, 6. November 2006

der soundtrack des 11. september 2001

schon mehr als interessant, wie ich finde, was chuck closterman in seinem buch „eine zu 85% wahre geschichte“ für einen vergleich zieht zwischen dem album „kid a“ von radiohead, einem der größten alben der musikgeschichte schlechthin, und den schaurig deprimierenden geschehnissen des 11. september 2001 in den usa. ich kann die gedankengänge des herrn closterman sehr gut nachempfinden, wenn ich mir das album kid a gewissenhaft und unter diesen voraussetzungen anhöre. bemerkenswert: das album erschien am 03. oktober 2000, also ein jahr vor den tragischen anschlägen in new york und washington.



der erste song von kid a beschreibt die skyline von manhattan an einem dienstagmorgen 08:00 uhr, der titel des songs lautet „everything is in the right place“. die leute wachen am morgen auf, „sucking on a lemon“, weil sich in der u-bahn von manhattan das leben normalerweise so anfühlt; die stadt ist ein wunderschöner, saurer, sarkastischer ort. und schon kommt song nr. 2, der titelsong. er bringt die musik der wirbelnden, flüchtigen normalität. die musik von johnny greenwood, der die ondes martenot spielt, ein tasteninstrument, das vor allem dafür berühmt ist, dass es in der star trek-titelmeodie verwendet wird. man stellt sich vor, wie die leute zu fuß zur arbeit gehen, wie sie im fahrstuhl stehen, wie sie aus dem c-train und dem 3-train steigen und sich eine zukunft ausmalen, die genauso ist wie die gegenwart, nur besser. der begriff kid a ist thom yorkes bezeichnung für den ersten geklonten menschen, von dem er (nur halb im witz) annimmt, dass er schon längst existiert. die bewusst irreführende botschaft lautet: die naturwissenschaften sind die antwort. die technologie löst alle probleme, weil die technologie unverwundbar ist. und das ist es, woran fast ganz amerika ungefähr um 08.30 uhr morgens glaubte. aber nach dreieinhalb minuten von kid a passiert etwas. irgendetwas stimmt nicht mehr, und man weiß nicht recht, was. dann folgt track drei, „the national anthem“.

das ist der zeitpunkt, als das erste flugzeug mit 470 meilen in den nordturm rast.

„the national anthem“ klingt ein bisschen wie ein morphium-song, völlig anders als die ersten beiden – verwirrend; chaotisch. „what’s going on?“ heißt es immer wieder. „was ist hier los?“ die musik wird immer verrückter, bis das zweite flugzeug in den zweiten turm rast (09:03 uhr in der wirklichkeit, bei 03:42 im song). einen moment lang ist alles ruhig. aber dann bricht der tumult los. was uns zu track vier bringt, „how to disappear completely“. das ist der punkt, an dem man sich denkt, die welt geht unter. die leute versuchen sich einzureden, dass sie gar nicht da sind. ständig wiederholen sie: „this is not happening“. die leute schweben zur erde. wir hören von stroboskopleuchten und von explodierenden lautsprechern; von feuerwerk und wirbelstürmen. es ist ein lied darüber, wie man bei lebendigem leib verbrennt und aus dem fenster springt: es ist ein lied darüber, wie es ist, wenn man dabei zusehen muss. und darauf folgt dann ein instrumentalstück („treefingers“) – was soll man noch sagen, wenn wolkenkratzer einstürzen? da kann man nur noch fassungslos zuschauen, die hand vor dem mund.

die zeit vergeht. es ist nachmittag. kid a, zweite seite, wenn man das album auf vinyl hat. statt action jetzt reflexion. der song heißt „optimistic“, ein wort, das durch seine abwesenheit noch viel bedeutungsvoller wird. es gibt texte über ground zero („vultures circle the dead“), und dann bekommt man einblicke, wie die amerikaner, nach ansicht der mitglieder von al qaida, die internationale diplomatie sehen („the big fish eat the little ones, the big fish eat the little ones / not my problem, give me some“). bei track sieben, „in limbo“, geht es darum, wie die vereinigten staaten aus ihrer fantasiewelt vertrieben werden und sich nirgends verstecken können, „nowhere to hide“, und wie sie nur noch falltüren finden und in die tiefe trudeln, „trap doors that open, i spiral down“. dann sind wir in der „idioteque“, in der die parole „frauen und kinder zuerst“ gilt, „women and children first“. die überlebenden erkennen nach und nach: „i’m alive“. im gegensatz zu „how to disappear“ bietet „idioteque“ erste momente der akzeptanz. wir gestehen uns ein, dass es wirklichkeit ist, „this is really happening“. wir fragen uns, wer auf der anderen seite des ozeans im bunker hockt und uns umbringen will, weil wir in einem bürogebäude mit 110 stockwerken arbeiten; „who’s in the bunker?“ fragt thom yorke, wir wollen doch keinem angst einjagen, „we’re not scaremongering“, aber manche tun es doch und reden von einer neuen eiszeit, „ice age coming, ice age coming“. in „morning bell“ sieht man ein land, das in seinem schockzustand verblüffend teilnahmsvoll reagiert, jeder will jedem helfen („everyone wants to become a friend“), aber es gibt keine möglichkeit, den verlust sinnvoll zu verarbeiten: in „motion picture soundtrack“ singt yorke davon, dass erst rotwein und schlaftabletten wieder eine form von zuwendung ermöglichen („red wine and sleeping pills / help me get back to your arms“). plötzlich braucht jeder vicodin. alle müssen noch mehr merlot trinken. wir füllen die leere mit chaep sex und sad sex, und wir denken, wir sind verrückt: baby, we’re crazy. aber auf die frage nach der wirklichkeit gibt es keine antwort, da ist nur der glaube, dass es etwas geben könnte, was größer ist als diese welt, und so endet kid a mit der verheißung eines anderen lebens: „i will see you in the next life“. kann sein ja, kann sein nein. es ist immer fifty-fifty.

void. (Gast) - 25. November, 18:15

um hier mal zur Abwechslung einen geistreichen Kommentar einzubringen...

tolle rezension!
aber man darf natürlich auch nicht vergessen, Stanly Donwood zu erwähnen, der mit seinen Artworks der multidimensionalen Interpretation noch das i-Tüpfelchen aufsetzt: http://www.slowlydownward.com/

Ich fühle mich beim Lesen des Textes übrigens stark an den Anfang von "Vanilla Sky" erinnert; (eigentlich ein recht mittelmäßiger Film, aber) die Anfangsszene ist sehr fesselnd: Tom Cruise fährt mit dem Auto durch Manhattan, es ist 8 Uhr morgens, KID A läuft als Soundtrack – nur erkennt man irritiert nach und nach, dass irgendwas komisch ist:
Etwas fehlt. Die Stadt ist leer...

herr axel (Gast) - 25. November, 23:30

klingt auch sehr interessant. habe den film leider nicht gesehen. doch das wird sich nun wohl bald ändern... danke!

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